08.12.2020: Was wäre dieses Corona-Jahr gewesen ohne Musik?! Gemäss Jahresstatistik von Spotify habe ich dieses Jahr bereits über 1'100 Stunden Musik gehört und dabei habe ich für mich grossartige neue Musik und Künstler entdeckt und kennen gelernt. Die nächsten Portraits möchte ich einigen dieser Musiker widmen und bei der Arbeit lasse ich mich natürlich gerne von ihrer Musik begleiten. Der absolute Top-Shot meiner persönlichen Neuentdeckungen dieses Jahr ist 'Kid Bloom', das wusste ich auch ohne Spotify Statistik. Vier der fünf mistgehörten Songs in diesem Jahr sind von ihm. Eigentlich wollte ich deshalb mit einem Portrait von ihm beginnen. Bisher jedoch habe ich im Netz keine Vorlage gefunden, die mich reizen würde als Portrait umzusetzen und so beginne ich meine Reihe mit dem Australier Ry Cuming oder Ry X, wie er sich als Musiker nennt. Unter anderem hat seine ruhige Musik während unserer Ausstellung im November in Lenzburg für eine stimmungsvolle Atmosphäre gesorgt. In den alten Kellergewölben des Müllerhauses klang seine Musik wie aus einer anderen Welt und machte es einfach, die Alltagsprobleme für ein paar Stunden zu vergessen.
Technische Daten: Format 80/80 cm, Untergrund Jute
Nach dem letzten Bild mit vielen Natur- und Zwischentönen habe ich mir bei diesem Bild zum Ziel gesetzt, nur mit klaren Farben zu arbeiten und keine Zwischentöne und Naturfarben wie Erdfarben oder Grautöne einzusetzen. Es soll also ein buntes, frisches Bild werden. Farblich möchte ich mich überhaupt nicht festlegen und meine Palette der drei Grundfarben und den ca. 10 Farbsprays ausnutzen.
Die rohe Jute grundiere ich für einmal weiss. Nach dem letzten Portrait habe ich Lust, mich wieder mehr von der Vorlage zu lösen und wieder einmal an meinem langfristigen Thema der Abstraktion zu arbeiten.
09.12.2020: Auf dem weissen Untergrund beginne ich mit dem breiten Pinsel und flüssiger Farbe in einem Lachsrosa für den Hintergrund und in Flaschengrün für die Schattenpartien der Figur. Nachdem diese Schicht abgetrocknet ist, folgt ein Arbeitsgang mit Farbspray: Hellblau für den Hintergrund und Lila für die dunkelsten Partien der Figur. Als nächstes folgt wieder eine Schicht mit breitem Pinsel in flüssigem Sonnenblumengelb und nachfolgend ziehe ich wichtige Konturen in hellem Blau nach. Darüber folgt eine Schicht in Pink für die hellsten Stellen des Bildes. Bei allen Schichten achte ich darauf, dass ich die unterliegende Schicht nicht völlig überdecke. Ich hoffe, damit eine vielschichtige und tiefe Bildstruktur zu erreichen als Analogie zur Musik von Ry X. Als letzter Arbeitsgang schaffe ich heute noch die dunklen Partien des Bildes mit einem warmen Rot herauszuheben.
10.12.2020: Heute hatte ich gerade mal Zeit für zwei Arbeitsgänge. Es gab sonst noch einiges zu erledigen. Bisher überzeugt mich das Bild und ich finde es hat durchaus Potential, dass etwas daraus werden kann. Ich muss deshalb vorsichtig sein, dass ich nicht beginne zaghaft zu werden, mich schon in den Details verliere und damit die Spontanität des Bildes zerstöre. Für die folgenden Schritte brauche ich deshalb etwas Mut zum Risiko. Erst einmal mache ich mich an die dunklen Partien, diese möchte ich noch etwas mehr absetzen, ohne dabei das schöne Rot völlig zu überdecken. Farblich entscheide ich mich als Kontrast zum dunklen Rot für mein liebstes dunkles Grün, welches ich aus Preussischblau und Zitronengelb mische. Jetzt folgt eine weitere Schicht des Hintergrunds. Ich überlege mir lange, was es werden soll. Schliesslich entscheide ich mich als Kontrast zum dunklen Grün für ein leuchtendes Gelbgrün. Damit die Farbstruktur völlig anders wird als die unterliegenden Spray- und Pinselschichten, netze ich den Hintergrund mit Wasser reichlich an und trage das Gelb mit breitem Pinsel und schmissigem Strich auf. Das Bild lege ich dazu horizontal, damit keine vertikalen Fliessspuren entstehen. Für einmal möchte ich diese verhindern. Über Nacht werden sich die gelben Pinselstriche auf der nassen Oberfläche verteilen und vor allem in den Poren der Jute absetzen. Bin gespannt, wie das Ergebnis wirkt morgen...
11.12.2020: Zwei Arbeitsgänge heute: Die hellgrüne Lasur, die ich gestern Abend auf dem Bildhintergrund angebracht habe, ist ziemlich stark verschwommen und so entscheide ich mich spontan, noch in Zitronengelb mit dem Pinsel einige Akzente zu setzen. Nachher folgen bereits Detailarbeiten an der Figur. Die dunklen Partien des Portraits akzentuiere ich zusätzlich in einem ganz dunklen Violett und im Gesicht nehme ich erste Korrekturen vor in hellerem Blaugrün.
18.12.2020: Vielleicht schaffe ich es heute, das Portrait von Ry X abzuschliessen. Farblich stelle ich es mir noch etwas bunter vor. Noch fehlen mir die Rottöne. Damit die Struktur noch etwas vielschichtiger wird, arbeite ich heute mit schmalerem Pinsel. Er sitzt locker und für einmal bin ich völlig unverkrampft. Bestehende Konturen versuche ich nicht gross zu beachten. Stattdessen gleiche ich meine Linienzüge stetig mit der Vorlage auf dem Tablet ab. Am Mittag finde ich, dass ich eigentlich fertig bin.
Nach einer Pause und etwas frischer Luft ist heute Nachmittag jedoch noch eine zweite Session angesagt. Was mich an dieser Fotovorlage fasziniert hat, ist das kaum sichtbare Lächeln in den Augen von Ry Cuming. Meist ist er auf Fotografien mit eher ernstem Ausdruck abgebildet. Nach dieser kurzen Pause heute Nachmittag habe ich jedoch festgestellt, dass dieses feine Lächeln auf meinem Bild völlig fehlt, und ich finde, es macht den Reiz dieses Bildes aus. Also mache ich mich auf die Suche, woran es liegen könnte und was an meinem Bild noch fehlt. Schliesslich sind es nur zwei kleine Korrekturen an der Unterlippe und am unteren Augenlid des rechten Auges...
Und übrigens: Den Bildtitel habe ich vom Titel eines Albums von Ry X übernommen. Die Bedeutung 'entfalten' oder 'ausbreiten' erinnert mich an die Klänge seiner Musik in den Kellergewölben des Müllerhauses während unserer Ausstellung. Die teils sphärischen Klänge zauberten eine einmalige Stimmung in die Räume und ich wurde verschiedentlich von Besuchern auf meine Playlist und diese Musik angesprochen. Und 'entfalten' passt gerade auch für mich persönlich zu dieser Zeit: Mit diesem Bild habe ich das Gefühl in eine neue Phase aufzubrechen, ab dem nächsten Sommer werde ich mein Arbeitspensum im bisherigen Job auf 60% weiter reduzieren können und damit bleibt mir mehr Zeit zum Malen, und ich freue mich sehr, dass ich in nicht einmal zwei Jahren ein ganz neues Atelier beziehen kann, mindestens doppelt so gross wie das jetzige...
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