Denkwürdige Ereignisse und die wirklich grossen Probleme und wichtigen Fragen unserer Zeit erfordern von der Kunst angemessene Antworten. Immer wieder gibt es Künstler, die es mit ihrer Ausdruckskraft schaffen, solche Themen in einem kraftvollen Werk aufzunehmen, zu verarbeiten und damit auch persönlich Stellung zu beziehen. Solche Werke helfen uns Menschen, bedeutende Themen immer wieder in Erinnerung zu rufen. Sie unterstützen uns aber auch, uns selbst mit einem Thema auseinanderzusetzen, ermöglichen uns oft völlig neue Blickwinkel und fordern auch uns zu einer klaren Stellungnahme auf. Ich bewundere Kunstschaffende – welcher Richtung auch immer – die es schaffen, mit ihren Werken starke Statements zu setzen, die uns aufrütteln und zum Nachdenken anregen.
In meinem Leben bin ich bisher einigen solchen Werken begegnet. Einige haben mich tief bewegt und nachhaltig beschäftigt. Eine der intensivsten Begegnungen dieser Art war für mich der Besuch des Holocaust Mahnmals von Peter Eisenman in Berlin. Noch heute, Jahre später, kann ich dieses beklemmende Körpergefühl abrufen, welches ich beim Durchschreiten der engen Gänge zwischen den Beton-Stelen empfand. Ein Besuch des Museums war für mich nachher gar nicht mehr möglich – ich war zu sehr aufgewühlt.
Ein aktuelles Kunstwerk, welches sich mit einem grossen Ereignis unserer Zeit auseinander setzt, ist das Werk ‘Rebirth’ des Japanischen Künstlers Manabu Ikeda. Das Werk hat mich, als ich es vor einigen Jahren zum ersten mal sah, tief beeindruckt und ich möchte ihm deshalb diesen Blog-Beitrag widmen.
Als Antwort auf das Tohoku Erdbeben, den Tsunami und die nachfolgende Nuklearkatastrophe in Fukushima 2011, hat Manabu Ikeda im Juli 2013 mit der Arbeit an einem monumentalen, vierteiligen Bild begonnen. Der Künstler arbeitet mit Feder und farbiger Tinte sehr detailreich und setzte für das Bild teilweise auch Acrylfarbe ein. An diesem kolossalen Werk im Format 3x4 m arbeitete er über drei Jahre und gemäss Berichten während sechs Tagen pro Woche und bis zu zehn Stunden am Tag. Er vollendete das Bild schliesslich im November 2016.
Absolut beeindruckend und für mich fast unvorstellbar finde ich allein schon, dass er die Ausdauer und Energie aufbringt, sich über so lange Zeit und ganz allein auf ein einziges Projekt zu fokussieren. Aus Distanz betrachtet ist das Wandbild ein schon fast klassisches Bild in traditionellem Japanischen Stil und zeigt einen mächtigen, uralter Baum in üppiger Blüte, dessen Wurzelwerk von einer gewaltigen Woge Meerwasser überspült wird. Der volle Reichtum aber auch Abgrund dieses Werks erschliesst sich jedoch erst, wenn man näher geht: Der Grund, auf dem der Baum wurzelt, ist ein einziger Schutthaufen und ein Ort der Zerstörung. Überall auf dem Bild finden sich Spuren der Apokalypse: verbogene Eisenbahnschienen, zerdrückte Autos, Eisenbahnwaggons, Müll und Schrott. Dann entdeckt man aber auch Überraschendes und es tun sich immer wieder neue Szenen auf: Kraniche in der Luft, Flugzeuge oder eine Karawane mit Kamelen die mitten über das Bild zieht. In einem Bericht habe ich gelesen, dass der Künstler während der langen Zeit, wo er am Bild gearbeitet hat, spontan zahlreiche persönliche Ereignisse wie z.B. die Geburt eines Kindes in der Verwandtschaft oder einen Todesfall direkt ins Werk einfliessen liess.
Die Entstehung dieses Werks hat das Chazen Museum of Art begleitet und in einem kurzen eindrücklichen Video festgehalten. Denkwürdig ist für mich der Moment, wo Ikeda Manabu seine Arbeit abschliesst und das letzte Element seines vierteiligen Werks an die Wand gehängt wird.
Ich fragte mich immer mal wieder, welche Impulse mir dieses Bild für meine eigene Arbeit geben kann. Die Tatsache, dass ich noch am Anfang meiner Entwicklung stehe hat mich bisher nie davon abgehalten, mich an grossen Künstlern und Werken zu orientieren. Es ist zwar wahrscheinlich, dass mir nie ein solches 'Once-in-a-lifetime'-Werk gelingen wird. Viele der Künstlerinnen und Künstler, deren Werk ich bewundere und regelmässig verfolge, spielen in einer anderen Liga und die meisten haben auch schon ihr ganzes Leben der Kunst gewidmet. Solange mich diese Erkenntnis nicht in meiner eigenen Arbeit behindert, nehme ich Ideen und Anstösse solcher Meister dankbar entgegen und versuche, was sich daraus mit meinen eigenen Mitteln und momentanen Fähigkeiten machen lässt.
- Ich habe Lust bekommen, nächstens wieder einmal zu Feder und Tinte zu greifen und wieder einmal eine Federzeichnung zu machen. Die letzte liegt wahrscheinlich mehr als dreissig Jahre zurück.
- 'Rebirth' ist ein Werk enormer Dichte und Komplexität, rein schon durch die Grösse aber auch durch die feingliedrige Struktur und den Detailreichtum. Dichte und Vielschichtigkeit sind Ziele, die ich auch in meinen Arbeiten versuche zu erreichen. Detailreichtum ist nicht so mein Ding. Ich werde weiterhin versuchen, diese Ziele über eine vielschichtige Farbstruktur, unterschiedliche Maltechniken und Abstraktion zu erreichen.
- Und schliesslich ist es die bewundernswerte Ausdauer und Hingabe für ein einziges Werk, welche ich mir zum Vorbild nehmen möchte. Ich bin von Naur aus eher ungeduldig und irgendwann muss für mich das Ende eines Projekts absehbar sein. Es gibt aber Ideen, die lassen sich nicht in absehbarer Zeit umsetzen und erfordern bis zur Reife mehr Zeit, vielleicht sogar sehr viel Zeit. Bisher bin ich an solchen Projekten meist gescheitert (z.B. mein angefangenes Bild mit dem Seerosenteich, wo ein Ende noch lange nicht absehbar ist). Ich möchte diesen Impuls zum Anlass nehmen, an einem meiner angefangenen Werke weiter zu arbeiten.
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